Sonja Wollkopf Walt, Geschäftsführerin der Greater Zurich Area AG, wurde von 20 Minuten zum Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI) und Automation auf den Schweizer Arbeitsmarkt interviewt. Dies ist die erweiterte Version des Gesprächs, auf dessen Basis der Beitrag vom 5. Mai 2023 veröffentlicht wurde.
Welche Firmen in der Schweiz nutzen bereits KI?
Sonja Wollkopf Walt: Es gibt viele Firmen in der Schweiz, die KI nutzen. Diese an dieser Stelle aufzuzählen würden den Rahmen sprengen. Die GZA AG ist täglich mit Firmen in Kontakt, die mit KI arbeiten und deren Geschäftsmodelle darauf gründen. Im aktuellen Jahresbericht haben wir viele Biotech-Firmen (Mirati, Peptone, Novavax), die mit KI und Hochleistungssoftware an Impfstoffen und Krebsmedikamenten arbeiten. Wir haben mit SambaNova eine Ansiedlung betreut aus Palo Alto, ein schnell wachsendes Computing-Unicorn, das im Jahr 2017 gegründet wurde. Es baut fortgeschrittene Machine-Learning- und Big-Data-Analyseplattformen sowie Hardware, um die Leistung von komplexen Datenverarbeitungen zu optimieren.
Dass viele Firmen mit KI arbeiten zeigt auch der Ausbau der IT-Infrastruktur. Amazon Web Services, ein Tochterunternehmen des US-Riesen Amazon, baut am Standort Schweiz aus. In der Schweiz gibt es inzwischen 86 Rechenzentren, vor fünf Jahren waren es noch 70. Kein Land in Europa ausser den Niederlanden hat so viele Rechenzentren pro Kopf. Krypto, Cloud-Gaming oder KI-Anwendugen benötigen die in Zukunft noch viel mehr Rechenleistung.
Halten sich Firmen zurück mit Ansiedlungen in der Schweiz, weil sie KI nutzen, beziehungsweise weil es durch die Automatisierung und Robotik nicht mehr nötig ist, zu expandieren?
Nein, das Gegenteil ist der Fall. Die Schweiz hat ein sehr attraktives Ökosystem für Firmen, die auf dem Gebiet KI und Robotik tätig sind. Interessant ist, dass es uns zunehmend schwerer fällt, die Ansiedlungen in den typischen Tech-Clustern zuzuordnen. Wir beobachten, dass in bisher traditionell geprägten Branchen wie etwa Food, Life Science, aber auch in der Bauwirtschaft vermehrt neue Technologien, insbesondere KI- und Blockchain-Anwendungen, zum Einsatz kommen. Die Branchen greifen stärker ineinander und profitieren voneinander. Diese Entwicklung ist positiv: Sie führt zu Erneuerung und Diversifizierung innerhalb von Wirtschaftsräumen und erhöht so die Resilienz des Standorts.
Sparen die Firmen durch KIs und Automatisierung so viele Kosten, dass sie in der Schweiz keine Investitionen mehr tätigen müssen und verteilen deswegen weniger Aufträge?
Wie bereits gesagt, ist der Wirtschaftsstandort Zürich sehr attraktiv für Firmen in diesem Bereich. Was wir aber beobachten, ist die Tatsache, dass immer weniger Stellen geschaffen werden. Die angesiedelten Unternehmen haben 19 Prozent weniger neue Arbeitsplätze geschaffen als im Vorjahr: 2021 waren es 639 Stellen. Die Anzahl neu geschaffener Arbeitsplätze ist in den letzten drei Jahren tendenziell rückläufig. Der Einsatz neuer Technologien und eine konsequente Automatisierung der Produktionsprozesse zeigen ihre Wirkung. Hinzu kommt, dass internationale Firmen die grenzüberschreitende Arbeitsteilung forcieren. Das bedeutet, dass in der Schweiz beispielsweise Forschung und Entwicklung betrieben wird, andere Funktionen wie HR oder Marketing im Ausland.
Im GZA Jahresbericht 2022 wird von einer "starke Veränderung der Beschäftigungsstruktur" durch KI und Automatisierung gesprochen - was ist damit gemeint?
Die Greater Zurich Area ist eine dynamische Wirtschaftsregion, die sich über die Zeit stetig weiterentwickelt. In den letzten 25 Jahren haben traditionelle Branchen wie Industrie, Bau und Handel an Gewicht verloren. Hingegen gewannen innovative Branchen wie spezialisierte Dienstleistungen, ICT und Medtech stark an Bedeutung. Wissensintensität und Technologielevel haben deutlich zugenommen. So ist der Beschäftigungsanteil skill-intensiver Branchen stark angestiegen. Sowohl Bildungsniveau wie auch Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte sind über diesen Zeitraum deutlich angestiegen. Diese Entwicklung wird in den nächsten Jahren nochmals zunehmen. Ein aktueller Bericht von World Economic Forum bestätigt dies in einer Studie. Arbeitgeber rechnen in den nächsten 5 Jahren mit einer strukturellen Arbeitsmarktfluktuation von 23 Prozent der Arbeitsplätze. Die Maschinen werden bis 2027 einen bedeutenden Anteil der Aufgaben übernehmen. Es wird allerdings auch erwartet, dass die Auswirkungen der meisten Technologien auf die Arbeitsplätze in den nächsten 5 Jahren netto positiv sein werden.
Gibt es grosse Automatisierungs- und KI-Projekte in der Schweiz, die dazu führen, dass die Firmen weniger Personal brauchen?
Unsere regelmässigen Befragungen zeigen, dass viele Firmen zunehmend automatisieren. Das ist eine positive Entwicklung, da die Erwerbsbevölkerung europaweit schrumpft in den nächsten Jahren. 100’000 Menschen gehen jedes Jahr in der Schweiz in Rente, Tendenz stark steigend. Ein Indikator, wie viele Arbeitskräfte der Schweiz dadurch jährlich netto verloren gehen, ist die Differenz zwischen den 65-Jährigen (die in Rente gehen) und den 20-Jährigen (die in den Arbeitsprozess einsteigen). Der Kipppunkt wurde 2019 erreicht, seither werden in der Schweiz mehr Menschen pensioniert, als dass Junge nachrücken. Wir sind in Zukunft schlicht nicht mehr genug Menschen, um alle Jobs zu besetzen. Wenn Jobs an einer Stelle durch KI also obsolet und automatisiert werden, eröffnen sich für Arbeitnehmer an anderer Stelle neue, bessere Jobmöglichkeiten. Viele Menschen verbringen immer noch zu viel Zeit mit einfachen Arbeiten, die längst automatisiert werden könnten. Das ist unproduktiv und verhindert Fortschritt.
Vernichtet KI und Automatisierung Jobs in der Schweiz?
Lange hatten Menschen im Niedriglohnsektor die Befürchtung, dass Maschinen ihnen den Job wegnehmen. Ein Blick in eine aktuelle Studie zeigt, dass in der Schweiz die Nachfrage nach Fachkräften in der Gastronomiebranche, Handwerker und Produktionsspezialisten hoch ist. Die Angst ist aus unserer Sicht unbegründet. Im Gegenteil: Bestseller-Autor und Stepstone-CEO Sebastian Dettmers fragte sich kürzlich: „Wäre es schlimm, wenn KI Jobs obsolet macht? Ich glaube, es könnte den Arbeitsalltag grundlegend verbessern“. Wenn zum Beispiel Anwälte das aufwändige Prüfen juristischer Texte abgeben könnten? Oder Ärzte nicht mehr lange Zeit darauf verschwenden müssten, Arztberichte zu tippen? Sondern sich auf wichtigere Dinge konzentrieren könnten: den direkten Patientenkontakt, fundierte Diagnosen und Forschung? Mehr Automatisierung ist eine riesige Chance. Als Standortmarketer setzen wir uns ein, dass das Ökosystem in der Schweiz attraktiv und innovativ bleibt. Wir setzen uns für die Zukunftsfähigkeit des Standorts sein.
Wäre das problematisch oder gar kein Grund zur Sorge, da KI und die Automatisierung unseren Wohlstand erhalten und die Alternative (kein Wachstum) schlimmer wäre?
Die Arbeitswelt wird automatisierter und mit KI und Robotik eine starke Veränderung in Jobbildern und Beschäftigungsstruktur erfahren. Der demografische Wandel wird den Druck auf Arbeitsplätze abnehmen lassen bzw. zu strukturiertem Arbeitskräftemangel führen. Die momentan vorherrschende Diskussion um Ungleichheit wird sich daher auf Kosten der Diskussion über Jobsicherheit weiter verfestigen. Arbeitslosigkeit aus wirtschaftlichen Gründen wird abgelöst durch Arbeitslosigkeit aus “Skills-Gap”-Gründen bzw. Inequality-Problematik. Gerade der demografische Wandel ist auch für die Schweiz von höchster Relevanz. Eine WEF-Studie kommt zum Schluss, dass 44% der Arbeitskräfte ein Reskilling in den nächsten 5 Jahren benötigen. Als Standortmarketer wollen wir diesen Wandel insofern beeinflussen, dass wir uns dafür einsetzen, dass der Standort attraktiv bleibt für Firmen und ihre Investitionen. Wir wollen zusammen mit anderen Institutionen und Akteuren die Greater Zurich Area weiter voranbringen. Unser Fokus ist die Ansiedlung von Innovation und Wertschöpfung.
Wer ist am stärksten von der Automatisierung betroffen?
Es sind alle betroffen. In der Schweiz müssen wir schauen, dass wir in entsprechende Ausbildung investieren und das Ökosystem attraktiv halten. Empirische Studien haben gezeigt, dass Technologieunternehmen und forschungsintensive Firmen vor allem Standorte wählen, welche sich durch hohes Humankapital auf dem Arbeitsmarkt, bestehende Agglomerationen von ähnlichen Unternehmen und ein forschungsintensives Netzwerk auszeichnen. Die Automatisierung und KI ist für den Standort Zürich eine grosse Chance.
Greater Zurich: Ein Hub für künstliche Intelligenz
Greater Zurich: Ein Hub für künstliche Intelligenz
Die Schweiz und der Wirtschaftsraum Zürich haben in renommierten Rankings im globalen Vergleich Spitzenplätze in Bezug auf Innovationskraft sowie Verfügbarkeit von hochqualifizierten Talenten belegt. Die verschiedenen Forschungsinstitute von Greater Zurich, wie die ETH Zürich mit seinem AI Center sowie das Schweizer KI-Institut IDSIA, zählen zu den führenden technischen Instituten der Welt und ziehen die besten Talente und Unternehmen wie Google, IBM, Microsoft, Facebook, Oracle und viele andere an.
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